Samstag, 17. Februar 2024

Die Verführung und der Mord


Aus Anlass der Ermordung Alexej Nawalnys am 16. Februar 2024 durch das russische Regime habe ich mich dazu entschlossen, einen persönlichen Brief meines Großvaters an meine Großmutter zu veröffentlichen. Dieser Brief ist einer von vielen und ein Auszug aus meinem Buch, das gerade in der Entstehung begriffen ist. Mein Großvater fiel 1943 im Kessel von Stalingrad. Dies ist keine Anklage im juristischen Sinn. Es ist eine moralische Anklage.


Das was 1933 in Deutschland seinen Anfang nahm und am achten Mai 1945 in einer großen Katastrophe nach sechs Jahren und einem Tag Krieg mit Millionen von Toten endete, geschieht aktuell in Russland und Weißrussland.


In Russland wird eine ganze Nation paralysiert, gleichgeschaltet. Die Verführung von Menschen durch das Regime ist allgegenwärtig. Selbständiges Denken und Handeln ist nicht erlaubt. Und obwohl die Russen es besser wissen, machen sie oft bereitwillig mit. Sie verdrehen die Geschichte, so wie die Deutschen 1933 die Geschichte verdrehten. Die Ukraine, ein freies, demokratisches und souveränes Land wird mit Krieg und Terror überzogen. Jeden Tag sterben unschuldige Kinder, Frauen und Männer.


Die Parallelen zur damaligen Zeit sind erschreckend. Das bedeutet aber auch, dass nach all dem was aktuell geschieht, Russland in seinen heutigen Grenzen danach so nicht mehr existieren wird.


Die Ausdrucksweise, Wortfindung und Rechtschreibung im Brief entspricht weitest gehend der damaligen Zeit.






Im Felde 28. Juli 1940




Liebe Sophie!



Die Zeiger meiner Armbanduhr stehen schon lange auf Mitternacht, der Mond wirft sein fahles Licht auf das Meer. Meine Kameraden sitzen draußen am Geschütz um jede Sekunde feuerbereit zu sein. Ich sitze alleine in unserem selbstgebauten Unterstand, beim Kerzenlicht um Dir auf Deinen lieben, vor wenigen Stunden erhaltenen Brief zu danken und Antwort zu schreiben. Vor mir liegt Dein Bild welches mich sehr gefreut hat, um mich aber ist alles versunken. Meine Gedanken weilen bei Dir, die Du jetzt zu Hause müde von des Tages Arbeit süß und selig im Bettchen schläfst und erst morgen wieder durch die Hand und den Willen des Allmächtigen geweckt wirst. Liebe Sophie, ich danke Dir nochmals für den vorherigen Brief in dem Du mir das Bildchen geschickt hast.


Entschuldige wenn ich nicht sofort geschrieben habe, die Umstände lassen dies nicht immer sofort zu. Ich glaube daß Du schon oft auf Post von mir gewartet hast, aber durch das viele Hin und Her ist so manches auf der Strecke geblieben. Nun haben wir für etliche Zeit einen festen Ort gefunden, ich hoffe, auf alles was hier weg geht seinen Empfänger erreicht.


Mein Dank gilt aber auch Deiner Gratulation, welche Du mir zu meiner Auszeichnung brieflich übermittelt hast. In all den Briefen, die Du mir jetzt geschrieben hast, kommt Deine Verbundenheit zu mir zum Ausdruck und das Mitgefühl von den schweren und heißen Tagen. Es ist schwer für einen Menschen diese Gefühle mitfühlen zu können, die einen Soldaten beseelen nach tausenden von Sekunden in denen einem der Tod im Nacken saß. Welch großes Glück durchdringt die Herzen derer die weiterleben dürfen, die weiter sehen, hören, und gehen ja sprechen dürfen. Liebe Sophie, wenn Du für mich gebetet hast, bin ich Dir von ganzem Herzen dankbar. Deinen Talisman trage und habe ich bei mir getragen. Er wird mir das bringen was Du gewünscht hast. Ich werde ihn für immer bei mir tragen, denn er ist für mich Schutz und nie vergebliche Erinnerung an einen Menschen den ich trotz daß es nicht sein soll gern habe und nicht vergessen kann.


Liebe Sophie, als ich noch in Kupferdreh bei Dir war, konnte ich niemals so richtig glauben daß Du mich so gerne gehabt hast, daß Dein Herz sich so an das meinige gewöhnt hatte. Nun aber wo durch das Schicksal alles anders gekommen ist und wir beide so weit voneinander getrennt sind, kommt mir durch Deine lieben Briefe die Bestätigung von Tag zu Tag besser zu. Du lerntest mich als jenen Menschen kennen, der allein stand und Niemand besaß dem er seine Liebe schenken konnte. Ich habe Dir damals nur einen Teil meiner großen Liebe geschenkt, denn ich wußte daß Dein Herz einem Anderen gehörte. Noch nie aber in meinem Leben war eine Sehnsucht so groß als in den nun hinter mir liegenden Tagen seit wir uns zum ersten Mal sahen. Du kannst nun denken von mir was Du willst, ich stehe und stand trotz dem auch ich schon länger verlobt bin, wie Du doch allein. Ich habe Dir oft gesagt, ich stehe zwischen zwei Frauen, nun ist das alles anders geworden. Du hast gefunden was Dir für alle Zeiten verloren schien, bist zu Hause bei Deinen Eltern. Ich aber stehe noch genau wie damals als ich von Dir Abschied nahm an der selben Stelle. Mit Schmerzen verbarg ich in jener Minute unserer Trennung die Tränen, oft habe ich gesungen wenn mir das Weinen nahe stand. Die selben Gefühle beseelen mich auch jetzt wieder, ein Blick aber auf Dein Bild und ich sehe Dich ganz nah bei mir. Ich höre die letzten lieben Worte aus Deinem süßen Mund, es ist alles um mich ein Traum.


Liebe Sophie, ich bin nicht abergäubig, aber ich fühle in meinem Herzen, daß ich nach Beendigung dieses Feldzuges auch bei jenen bin, die ihre Heimat nicht mehr sehen dürfen. Ich bitte Dich, halte das was Du von mir hast, in Ehren. Meine Bildchen behalte ganz für Dich, denke an mich der ich so weit von Dir getrennt meine Pflicht tue. Mein Grab wird sein, das große Meer, wenn mich der Allmächtige verlässt. Vergeße nie, daß ich für Dich gelebt habe. Bete für mich, damit mich der Allmächtige segnet.


Liebe Sophie, mit diesen Gedanken grüßt Dich für heute ein junger Mensch der ehrlich zu Dir war



Wilhelm




© Ralph Oberbillig



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