Träumte einen Traum... ein Universum und Leben an einem Tag.
Es gibt kein Vielleicht. Nur wahre Absichten.
Das Universum beschenkt uns. Mit Fehlern, die für uns gemacht sind. Wir sollen sie in diesem Universum begehen. Und aus ihnen lernen. Und wir sollen los lassen lernen. Auf dass wir enttäuscht werden und den Blick wieder frei bekommen. Auf das Wesentliche und das wahre Leben. Und irgendwann kehren wir dann zurück nach Hause...
Wir sind eins. Wir sind wahr. Wir warten. Jahrzehnte warten wir auf uns. Ohne zu ahnen dass es so ist. Wir treffen Menschen, heiraten, haben Kinder. Lassen uns scheiden. Der Fehler ist, all das nicht zu tun. So tun wir es...
Und dann triffst du diesen einzigartigen Menschen. Du siehst ihn. Und du weißt: es ist dieser Mensch auf den du schon dein ganzes Leben gewartet hast. Bis zu diesem Tag, bis zu dieser einen Sekunde ist alles ein geordnetes Gefüge, geht seinen Gang. Und auf ein Mal steht deine Welt Kopf. Von jetzt auf gleich gerät alles so durcheinander wie es nur durcheinander geraten kann.
Bewusst zurücknehmen und abschließen. Geschützt und abgeschlossen. Überzeugt, mir geschieht nichts. Dem Glauben erlegen, sicher zu sein. Sicher vor Gefühlen...
Mein Name ist Leo. Leo Göck Landau. Und ich schreibe Geschichten. Authentische Geschichten aus dem realen Leben.

Ihr sollt nicht…
Ihr sollt nicht eure Flügel falten,
damit ihr durch Türen kommt,
noch eure Köpfe beugen,
damit sie nicht gegen eine Decke stoßen,
noch Angst haben zu atmen,
damit die Mauern nicht bersten und einstürzen.
Ihr sollt nicht in Gräbern wohnen,
die von den Toten für die Lebenden gemacht sind.
Und obwohl von Pracht und Glanz,
sollte euer Haus weder euer Geheimnis hüten,
noch eure Sehnsucht beherbergen.
Denn was grenzenlos in euch ist,
wohnt im Palast des Himmels,
dessen Tor der Morgennebel ist und dessen
Fenster die Lieder und die Stille der Nacht sind.
Khalil Gibran (1883 – 1931)
“Hallo ich bin es. Linda. Erinnerst du dich? Linda Krain. Fast vierzig Jahre sind vergangen. Erinnerst du dich? Früher hatte ich einen anderen Familiennamen. Wie geht es dir? Was machst du? Leo, erinnerst du dich noch?”
Vor zwei Jahren. Es ist der achte August. Linda? Was? Selbstverständlich erinnere ich mich. Ich muss nicht überlegen wer das ist. Ihr Bild ist sofort präsent in mir. Ihre wunderschönen lachenden Südtiroler Augen, diese süßen Wangen. Sommersprossen... Oh Gott Linda. Die Erinnerung an sie berührt mich. Wir sind Kinder. So verdammt jung und fast unschuldig noch im Verhalten und Sein. Sie fünfzehn, ich achtzehn Jahre alt. Mitten in der Pubertät. Pickel und Gefühlschaos, der erste Sex. Es ist Anfang der achtziger Jahre.
Elfter Oktober. Überlingen am Bodensee.
Mein Motorrad parkt unten auf der Straße, ich sitze mit meiner Freundin und ihrer Mutter in der Küche. Wir rauchen, trinken Kaffee, reden. Es ist ein später Freitag Nachmittag, fast Abend. Die Natur tendiert in Richtung Winter. Dann höre ich wie die Wohnungstüre geöffnet wird. “Huhu, bin wieder zuhause...” Oh was für eine schöne Stimme. Und schon erscheint schräg im Türrahmen der süßeste Kopf den ich jemals gesehen habe. Ich bin arg verwirrt. “Das ist doch nur meine kleine Schwester”, höre ich meine Freundin leicht verächtlich sagen. Mein Herz pocht. Diese Augen. Was für ein atemberaubend schönes Mädchen.
Heute.
Jetzt kann ich es geschehen lassen. Traue mich endlich den Gefühlen hinzugeben. Ich reite ein Wildpferd. Es ist bockig. Es ist zornig. Will nicht gezähmt sein. Es trägt mich. Es schüttelt mich durch. So viele Stimmen in meinem Kopf. So viele Bilder und Geschichten.
“Schreib, schreib endlich!” Diese Stimme in meinem Kopf. Sie ist anders als sonst. Bestimmend, fast zornig. Bisher rede ich mich erfolgreich damit heraus keine Zeit zu haben. Woher soll ich denn wissen wie viel Zeit ich habe? Vor ein paar Wochen und aus heiterem Himmel schreit sie mich einfach an. Diese Stimme. Ich erschrecke. “Ja ja, ist ja schon gut.” Ok. Aber was soll ich denn schreiben?
Mein erster Schritt des Schreibens ist eine ganz bestimmte Art von Musik. Die Worte verstehe ich nicht gänzlich. Ich höre die Melodien mit dem Herzen. Mein Herz versteht diese Sprache. Die Worte sind Slowenisch. Die Sprache meiner Vorfahren. Mit dieser Musik kommen mir die eigenen Worte in meiner Fantasie, formen sich zu Bildern. Werden zu Sätzen. Jetzt ist es wie das Reiten der Welle auf einem Surfbrett. Auf der einen Riesenwelle vor Nazaré. Die eine große Welle auf die ich warte. Jetzt ist sie da. Die Energie trägt mich vorwärts. Und diese Energie ist fantastisch, unglaublich kraftvoll. Doch eine Welle ist nicht der Ozean. Da ist noch viel mehr.
Und es sind die Bilder. Mir ist, als blicke ich durch die Augen meiner Großeltern zurück in die Vergangenheit meiner beider Familien. Und ganz besonders hinein in die slowenische Familie. Immer und immer wieder. Es ist, als fühle ich meinen Urgroßvater. Rieche ihn, nehme ihn wahr. Seine Eltern, die Geschwister. Das Dorf in den Julischen Alpen. Als sehe ich durch seine Augen das Massiv des mächtigen Triklav. Das Dorf Strmec na Predelu, seine Heimat. Die Armut, den Hunger. Das ganze Elend. Die Habsburger Monarchie erliegt noch der Illusion eines Großreiches Österreich-Ungarn. Mein Urgroßvater Jannis ist sechzehn Jahre alt.
Mir wird mein Trauma bewusst. Es meldet sich wieder. Es ist permanent anwesend und führt ein dickköpfiges Eigenleben. Das ‘Permanent’ ist ihm sehr wichtig. Mein Trauma hat einen Namen: Elfter Oktober.
Diese Stimmen. Diese Bilder. Diese Klänge und Farben. In meinem Kopf. Sie sind so mächtig. Nur wenn ich diesen bestimmten Zustand in mir fühle kann ich diesen ersten Schritt tun. Immer und immer wieder versetze ich mich in diesen Zustand. Dann bin ich auf dieser Welle die mich fortträgt. Dann öffnet sich im Hier und Jetzt wieder eine weitere Türe in die Vergangenheit und in die Zukunft zugleich. Dann sehe ich einen sehr langen dunklen Flur vor mir in dem ich bin. Es ist ein Flur mit beidseitig unzähligen Reihen geschlossener Türen. Kalt und Dunkel. Abweisend. Kein Licht.
Durch meine Anwesenheit öffnen sich ersten Türen. Sie geben den Blick frei in Zimmer mit weit geöffneten Fenstern. Klänge, Melodien, Stimmen, Gerüche, Farben, Gefühle... Es ist die Zukunft, verbunden durch den langen Flur der Vergangenheit. Verbunden im Fluss der Zeit, über diesen Flur im Jetzt. Es sind die ersten Türen die ich bewusst öffne. Helle Zimmer. Lichtdurchflutet. Wärme. Am Ende des Flures gibt es kein Trauma mehr. Dann sind alle Türen geöffnet. Dann bin ich endlich ganz bei mir und frei. Und doch wird das Trauma für immer da sein.
Jetzt.
Eine neue Seite der Geschichte blättert um. Eine Geschichte, die vor so langer Zeit ihren Anfang nimmt. Und zugleich doch noch gar nicht existiert. Sie entsteht gerade jetzt in diesem Augenblick. Diese Musik. Sie berührt mein Herz. Lebenslinien verbinden sich durch alle Zeiten hindurch.
Was meiner Großmutter Sophie, Soška, widerfährt, überträgt sich auf mich. Nonverbal. Nie ausgesprochen und doch wird es übertragen. Mit Gesten, Stimmungen. Gespräche die nicht stattfinden... mir ist es nicht möglich die Gefühle zu fassen. Kann diese nicht wirklich beschreiben. Im Nebel der Vergangenheit. Doch sie sind da. Mehr Ahnung als Tatsache. Wie durch einen Schleier hindurch, fühle ich diffus ihre Anwesenheit. Ihre Auswirkungen spüre ich fast schon mein ganzes Leben lang. Im Kindergarten bin ich gerade einmal einen einzigen Vormittag. Diesen erlebe ich aufgelöst in einem See aus Tränen und mit heftigem Bauchweh. Angst. Mir ist übel. Nie wieder gehe ich dort hin. Die Schulzeit ist die schlimmste Zeit meines Lebens. Mobbing. Keine Hilfe von Außen. Das nicht sehen wollen der Lehrer. Wegsehen. Einer meiner Klassenlehrer ist Alkoholiker. Das Trauma von Sophie wird zu meinem Trauma. Sie hat ihr ganzes restliche Leben Angst, die Schergen der SS kommen sie holen...
Sophies Angst, ihr Trauma, führt zu meiner feinen empathischen Sensibilität. Die Welt anders wahrnehmen. Eine Fähigkeit, die mir heute sehr hilft. Früher trage ich damit eine schwere Last, ich hasse es. Zerbreche fast daran. Heute liebe und genieße ich oft meine feinen Antennen. Diese Fähigkeit gibt mir Vorteile. Es ist ein Geschenk das ich irgendwann bereit bin anzunehmen. Ich nenne es das ‘Menschenlesen’. Und manchmal erschrecke ich darüber, wie gefühllos und von Enttäuschungen gezeichnet viele Menschen kalt durch ihr Leben stolpern. Unfähig ihre eigenen schönen Gefühlen leben zu können. Mich friert. So muss ich stets gewahr sein, damit die Gefühllosigkeit des Gegenüber mich nicht überrennt. Ich lerne mich bewusst zurückzunehmen und abzuschließen. Ich schütze mich und meditiere.
Der Brief.
“Komm Linda, ich zeige dir wie das geht. Steig auf, wir fahren ein bisschen durch die Gegend.” Mein Herz pocht mir schon wieder bis zum Hals. “Aber Leo. Ich bin doch noch nie Motorrad gefahren. Und meine blöde Schwester wird mir wieder böse sein.” Doch ich will ihr nahe sein. Die ganze Welt soll verschwinden. Nur Linda und ich...
”Du kannst dich ganz eng an mir festhalten Linda. Es ist sicher. Komm.” Wir fahren von Überlingen nach Salem. Die Strecke durch den Wald. Ein paar Kurven durch die Apfelplantagen im Hinterland. Salem entgegen. Sie ist ganz nah bei mir, sitzt hinter mir, meine süße Sozia. Hat ihre Arme um mich geschlungen. Glück. Langsam fahre ich bergab am Langbau des Internats vorbei. Dann biege ich links in den langen Wirtschaftsweg in das ehemalige Ried ein. Fahre so lange, bis auf der linken Seite ein kleines Wäldchen erscheint. Ich will mit ihr ungestört sein. Schon wieder bin ich nervös. Wir halten an, sie steigt ab und lehnt sich an das Motorrad. Wir stehen uns gegenüber und blicken uns stumm ganz tief in die Augen. Ganz nah. Fast berühren sich unsere Nasen. So nahe komme ich ihr. Sie duftet so wunderbar. Diese wunderschönen Augen... Unerfahrenheit und Sehnsucht. Unsere Lippen berühren sich nicht. Ich wage es nicht sie zu küssen. Glaube, dass sie mir dann böse ist. Verpasste Chancen. Wir fahren zurück nach Überlingen. Ungeküsst. Blöd. Ihre Schwester erwartet uns mit einer Breitseite böser Worte. Enttäuscht über meine Mutlosigkeit fahre ich nach Hause.
Liebesworte.
Es ist mein erster Liebesbrief überhaupt. “Liebe Linda... ich liebe dich...” Schon wieder pocht mein Herz. Ich muss ihn ja nicht absenden. Kann ihn verstecken. Geheime Worte, die nie bekannt werden. Heimliche Liebe. Ich beruhige mich. Langsam schreibe ich weiter. Wohl überlegte Worte. Zu dreist? Nein nein. Schreib weiter, schreib. Nasse pubertierende Hände. Der Füller. Blaue Tintenflecken. Abgekaute Fingernägel. Die Augen von Linda. Mir ist so heiß. "Punkt. Punkt. Punkt. Dein Leo.”
Gleich kommt meine Freundin zu mir. Ich verstecke den Brief. Und vergesse ihn. Ich vergesse meine Freundin. Ich vergesse auch Linda. Beende meine Lehre und gehe für vier Jahre zur Bundeswehr. Schießen. Unfall mit dem Motorrad. Es ist knapp. Aber ich werde wieder gesund. Es dauert zwei sehr lange Jahre. Und ich heirate, wir bekommen ein Kind. Die Ehe hält nicht. Kalt. Nach eineinhalb Jahren ist es vorbei. Tiefe Enttäuschung. Schmerz. Darf mein Kind nicht mehr sehen. Was Frauen so einfällt. Einfach um Schmerz zu bereiten. Das Gericht macht mit. Sinnlos. So großer Schmerz. Nie wieder möchte ich ein Kind haben. Ich schwöre es.
Dreißig Jahre.
Was du gibst kommt zu dir. Was du nimmst verlässt dich. Öffnest du dein Herz bekommst du Freude. Du kannst nur geben was selbst in dir ist. Nach Jahren, Jahrzehnten. Ein Lebenszeichen. An den Vater, an mich. Und doch. Und doch unverbindlich. So wie früher. Ohne wahre Liebe, ohne eine warme Absicht. Wie die Kindsmutter. Kaltes Herz. Kälter als Eis. Kein Herz. Berechnend. Geld fixiert. Kaltes Grab. Kein liebes Wort. Kein Bedauern.
“Hallo du, vielleicht wird es etwas. Vielleicht geht der Schuss nach hinten los. Aber ich wollte einfach die Chance nutzen und dir die Gelegenheit geben mich kennen zu lernen. Ungeachtet dessen was bisher war. Falls du möchtest, können wir gerne Adressen oder Nummern austauschen. Mir geht es nicht darum Vergangenes aufzuwühlen, sondern einfach in die Zukunft zu schauen.”
Der Vater, ich. Seit der Trennung von der Kindsmutter. Schmerz. Ich kenne sein Kind. Kenne es besser als das Kind sich selbst. Sein einziges Kind. Der Vater in seiner eigenen Sprache seine Worte nicht mehr findet. Muss weiterhin sein was er nie war, nie sein wollte. Hart. Herzlos. Zum eigenen Schutz. Antwortet er in der Sprache des Urgroßvaters. Eine Sprache, die in der Zeit viel Schmerz und Leid erträgt. Aufgeladen ist mit Schmerz und Leid. Und nur dort im Schmerz findet sich Übereinstimmung.
Nur dort...
“Nisi se spremenil. Toda moje srce je mrtvo. Samo želel sem biti tvoj oče. Niste hoteli. Toliko bolečin. Tako sem umrl. Ne morem ostati pri tebi. Imej lepo življenje.”
“Du hast dich nicht verändert. Aber mein Herz ist tot. Ich wollte nur dein Vater sein. Du wolltest nicht. So viel Schmerz. So bin ich gestorben. Ich kann nicht bei dir bleiben. Ich wünsche dir ein schönes Leben.”
Sein Kind. Antwortet unverbindlich. So wie früher, ohne warme Absicht. Ohne wahre Absicht. Vorgelebt von der Kindsmutter. Hat es verinnerlicht. Kaltes Herz. Kälter als Eis. Kein Herz. Berechnend. Geld fixiert. Kaltes Grab. Kein liebes Wort. Kein Bedauern.
“Okay, dann ebenfalls noch ein schönes Leben.”
Trauer. Schmerz. So viel Schmerz. Wie lange noch? Wie lange erträgt ein Mensch?
Vierzig Jahre.
“Leo, erinnerst du dich noch an deinen Brief? Ich habe ihn erhalten.” Brief? “Linda, welcher Brief?”
“Na deinen Liebesbrief, den du mir geschrieben hast. Damals. Wir waren so jung.”
Moment mal. Welcher Brief denn? Langsam kommt die Erinnerung zurück. Das ist so unglaublich lange her. “Linda, du hast ihn erhalten? Ich habe ihn damals nicht mehr gefunden und dann vergessen.”
“Leo, meine Schwester hat ihn damals an sich genommen. Es gab einen Riesenkrach zuhause. Sie hat ihn mir in unserer Küche unter die Nase gehalten. So viele liebe Worte. Deine Worte. Ich war so tief berührt. Voller Wut hat sie herumgeschrien. Du warst im Krankenhaus nach deinem Unfall und hast nichts mitbekommen. 'Diesen Krüppel kannst du haben', hat sie geschrien. 'Der liebt nur dich und mich nicht...' Da habe ich ihr eine saftige Ohrfeige verpasst. Die Brille flog einmal quer durch die Küche und war kaputt. Meine Mutter und sie waren gegen mich. Nur mein Stiefvater hat zu mir gehalten.”
“Seit über vierzig Jahren trage ich dich mit mir herum Linda. In meinem Herzen, fast nicht wahrnehmbar. Doch du warst all die Jahre da. In mir.” Jetzt bin ich bewegt. Ungezählte Telefonate und Textnachrichten folgen. Fotos fremder Gesichter ihrer Familie und irgendwie doch so vertraut...
“Ich liebte dich Linda. Kein verliebt sein. Liebe."
“Ja Leo, ich liebte dich auch.”
Nach vier Wochen treffen wir uns in Radolfzell am Bodensee. Ich buche ein Hotelzimmer. An der Rezeption möchte man wissen ob es privat oder eine Geschäftsreise ist. Der Kurtaxe wegen. Und welches Unternehmen... ich schreibe den Namen. Es ist das Unternehmen 'vierzig Jahre verlorene Liebe'. Linda wartet in der Lobby. Beide sind wir überrascht über den heftigen Sturm der Gefühle der über uns hereinbricht. Die heftigen Küsse, der überhaupt erste Sex zwischen uns. Unstillbarer Hunger. Nach mehr als vierzig Jahren des ungeküssten Seins. Sie duftet noch immer so gut. Nichts ist süßer als dieser Augenblick der kompletten Verschmelzung...
La vida es bella. Wirklich?
Du bist immer sehr beschäftigt. Sagst du, und hast immer viel zu tun. Dein Name ist Manuela und du bist Lehrerin. Englisch Oberstufe. Mein Eindruck ist, dass Du nicht wirklich romantisch bist. Deine mir nicht zu Verfügung stehende Zeit für mich nur vorschiebst.
Das erste Mal treffen wir uns gehend. Wir gehen mit Anderen durch den Wald. Sprechen. Wenn wir nicht sprechen singst Du leise vor dich hin während wir gehen. Ein Summen fast. Ich mag deine Stimme. Manchmal hast Du eine Kopfstimme und dann kippt sie oben über. Ganz kurz nur. Und doch ist Deine Stimme gefestigt, ruhig.
Wir treffen uns mit Anderen bei dir Zuhause. Spiele Abend. Ich umarme dich viel zu kurz bei unsere Verabschiedung. Mir fehlt schon wieder der Mut für länger. Du könntest etwas merken... du bist intelligent. Wir sind zu sechst. Ich schmunzle. Ich kann mich auch irren. Aber ich empfange diese Schwingung von dir. Auch die beste Schauspielerin zeigt irgendwann ihr wahres Gesicht. Ich bin gespannt wann dieser Augenblick da ist.
Schon wieder gehen wir. Nur wir beide dieses Mal. Zuerst im Wald hoch, dann rüber zur Burg. Es ist Weihnachtsmarkt. Wir kommen etwas vom Weg ab und du rutscht aus auf dem nassen Laub im Wald. Setzt dich auf deinen Hintern. Und sagst, du bist gut gepolstert. Ich erwidere dass ich das nicht beurteilen kann und grinse in mich hinein. Strecke dir meine ganze Hand hin. Doch du nimmst nur meinen Daumen und ziehst dich daran wieder hoch.
Du bist so ganz anders als die Frauen die ich kenne. Als ich dich nach Hause fahre, knallst Du die Autotüre etwas heftig zu und läufst einfach schnell weg. Sagst nicht auf Wiedersehen. Drehst dich nicht mehr um. Vielleicht musst du auch nur dringend auf die Toilette?
Winter im Herzen.“Weißt du Linda, das ist der Winter. Ich hab das jeden Winter in dem ich unglücklich bin. Ich mag sie nicht, diese Winter. Aber ich habe wieder begonnen zu schreiben. Nach so langer Zeit schreibe ich wieder an meiner Geschichte. Im Sommer soll sie fertig sein. Um zu schreiben brauche ich diese leicht melancholische Stimmung. Sonst kann ich nicht schreiben. All der Schmerz den ich schon so lange in mir trage schreibe ich aus mir heraus. Das Trauma in der Familie. Du bist Teil dieses Geschichte die ich schreibe. Nicht Teil meines Traumas. Für das Lektorat nächstes Jahr habe ich schon meine Fühler ausgestreckt. Es wird eine neutrale Person sein.”
Warst du schon einmal in einem Seminar? Da steht jemand vorne auf der Bühne und erzählt. Du erhoffst dir einen neuen Input für Dein Leben. Irgend einen Impuls, der dich triggert. Irgend etwas. Weil der Kompass deines Lebens dir nicht mehr die Richtung anzeigt. Die Nadel dreht sich verloren im Kreis. Du wartest auf diesen Aha-Moment. Aber er kommt nicht. Du bist hier, weil du frustriert bist. Doch es fehlt die Authentizität in der Veranstaltung.
Kompromisslos dreht sich deine Kompassnadel weiter im Kreis.
Sonntag.
Du stehst hinter mir. Weißt nicht dass ich vor dir stehe. Aber ich nehme dich wahr. Mein Rücken wird ganz warm, während ich mich Freunden zugewandt mit ihnen unterhalte. In einer größeren Gruppe stehen wir mit den Anderen auf einem Parkplatz und warten. Wir sprechen über die heutige, bevorstehende Route die wir wandern wollen. Wir sprechen über das Wetter. Mag es halten? Wird es regnen? Und wie so oft schon in meinem Leben bin ich wieder irritiert über das, was meine feinen Antennen wahrnehmen. Wahrnehmen, fernab aller Worte.
Dich.
Weshalb fühle ich deine Wärme? Ich kenne dich nicht. Das Einzige was mir bekannt ist über dich: du existierst. Wer magst du sein? Wer bist du, dass du es vermagst mich Wärme spüren zu lassen? Meine beiden Ichs flüstern miteinander. Ganz leise. Streiten sie miteinander? Irgendwie sind sie sich gewiss im Flüstern. Uneinig in ihren Aussagen.
“Leo, nachher gehst du neben ihr.”
“Nein Leo. Nein. Dieses Mal nicht. Es hat schon zu oft mit einer Enttäuschen geendet.”
“Aber Leo. Wie willst du sie denn kennen lernen? Du musst neben ihr gehen.”
“Nein. Warte ab. Warte auf irgend eine Art der Einladung...”
Du hast neue Wanderschuhe und möchtest sie ausprobieren. Der heutige Tag soll zeigen, ob du länger darin laufen kannst. Willst wissen, ob sie dich nicht drücken. Aber eigentlich willst du lieber auf einen Geburtstag gehen und feiern. Du bist eingeladen. Und entscheidest dich doch fürs Wandern.
Mein Knie schmerzt noch etwas. Ein paar Wochen habe ich pausiert, konnte nicht joggen. Der heutige Tag soll mir den Beweis liefern, dass das Knie hält. Aber eigentlich habe ich so gar keine Lust zum Wandern. Will lieber ausschlafen. Und entscheide mich doch fürs Wandern.
Wir wandern gemächlich in der Gruppe. Ich beobachte dich aus der Ferne. Und warte auf etwas. Was das sein soll weiß ich nicht. Was für eine Einladung wird das sein? Wie wird sie aussehen? Ich glaube ich bin verrückt. Verrückte Gedanke, Fantasie. Erwarte ich dass du zu mir kommst und sagst: "Hey du, ich lade dich ein." So etwas? Nein nein nein. So etwas gibt es nicht. Ich wandere und grüble. Beobachte dich. Interessante Frau. Eigener Charakter im Aussehen, Sprechen und im Gehen. Anders. Irgendwie... schön?! Nach einer Weile machen wir alle zusammen Rast. Du stehst etwas von mir entfernt in einer Gruppe von Vieren. Halbkreis, zur mir geöffnet. Auf einmal ruft jemand aus der Gruppe: “Leo, kommst du mal?” Oh Wow! Meine Einladung ist da. Ich fasse es nicht.
Und dann stehe ich auf einmal diesem einzigartigen Menschen gegenüber. Dir. Ganz nah. Ich sehe dich an, betrachte dich. Nehme dich wahr. Du siehst mich an und lächelst. Ich bin bei dir. Und ich weiß: du bist dieser Mensch auf den ich schon mein ganzes Leben gewartet habe. Auch wenn wir es nicht wussten. Nun sind wir eins. Nun sind wir wahr.
Deine Stimme, dein Lächeln. Dein schönes Gesicht. Eine Saite in mir beginnt zu schwingen. Du berührst mich vom ersten Augenblick an. Und ohne dir darüber bewusst zu sein beginnst du eine Melodie darauf zu spielen. Es geschieht einfach so. Es ist so wunderschön. Bitte spiele weiter deine Melodie auf dieser Saite... bitte höre nie wieder auf diese Melodie zu spielen. Warum du mich so tief berührst und es geschah kann ich dir nicht sagen. Ununterbrochen lächelst Du während wir uns zuhören und ansehen.
Nach der Wanderung will ich dich nicht einfach wieder gehen lassen, nehme all meinen Mut zusammen. Will keine verpassten Chancen mehr in meinem Leben haben. Ich will dass das Glück und die Liebe bei mir zuhause ist. Bei uns.
"Willst Du mich im Auto mitnehmen?" frage ich dich. "Wir haben fast den selben Heimweg." Ich hätte dich jetzt so gern gehalten in meinen Armen. Dein schönes Gesicht geküsst, den Geschmack deiner zarten Lippen geschmeckt und den Duft Deiner Haut in meine Nase eingesogen... All das ist noch zu früh. Auch meinem Drang, dir einfach mit der Hand durch dein schönes wildes Haar zu fahren gebe ich nicht nach. Es fällt mir so schwer. Als wir bei mir zuhause ankommen frage ich dich, ob wir uns zum Abschied umarmen wollen. Du willigst ein und wir steigen aus dem Auto, umarmen uns. Ich gebe dir ein Küsschen auf die Wange und bin ganz aufgeregt. Später erzählst du mir, dass du das Gefühl hattest, es ist der Beginn von etwas sehr Wunderschönem...
Ich habe mich in dich verliebt. Es ist einfach so wie es ist. Es geschah einfach so mit einer unglaublichen Leichtigkeit.
Bis zu diesem Tag, bis zu dieser einen Sekunde ist alles ein geordnetes Gefüge, geht seinen Gang. Doch auf ein Mal stehen unsere beiden Welten Kopf. Sie sind eins geworden. Von jetzt auf gleich gerät alles so durcheinander wie es nur durcheinander geraten kann. Und doch. Von jetzt auf gleich findet sich was schon immer zusammengehört und vorbestimmt ist.
Meine Kompassnadel hat aufgehört sich zu drehen. Nun zeigt sie mir die Richtung.
Ich blicke in mein Spiegelbild. Aber ich sehe mich nicht. Ich nehme uns wahr. Wir träumen zusammen einen wunderschönen Traum. Er ist zu unserer wunderschönen Realität geworden. Ist es Sommer? Ist es Winter? Alles ist irgendwie total durcheinander geraten. Liebevolle Gefühle. Eine einzigartige tiefe Liebe und großes Vertrauen ineinander. Gewissheit. Du liebst mich. Wir sind eins. Wir sind wahr. Wir lieben uns. Anders als in der Jugend. So wunderschön. Und alles an einem einzigen Tag.
© Ralph Oberbillig
Ralphs Blog © by Ralph Oberbillig | Hauptstraße 96, D-76831 Göcklingen, Deutschland | Mobil +49 15678 254730 | Festnetz +49 6349 995 7027